Die politische Einstellung der Lahrer Bevölkerung und Machtverhältnisse

vor und während der Revolution

 

Bereits vor der Revolution, bis 1832, war Lahr in zwei politische Lager gespalten: die Blauen und die Gelben. Dies erklärt sich vor allem daraus, daß die Arbeiter sich in ihrer politischen Meinung nach ihrem Arbeitgeber richteten. Die politische Einstellung dieser beiden Lager war zwar ziemlich ähnlich, doch der Konkurrenzkampf ihrer beiden Führungskräfte, Voelker bei den Gelben und Lotzbeck bei den Blauen, führte dazu, daß keine einheitliche, politische Meinung vorherrschen konnte.

Zu diesen beiden Lagern kam im Jahre 1832 noch ein weiteres hinzu: die Liberalen. Diese konnten 1832 zum ersten Mal in den Gemeinderat einziehen, was erst seit Ende 1831 möglich war, da zuvor der Gemeinderat nicht von den Bürgern gewählt werden konnte. Doch diese vier liberalen Gemeinderatsmitglieder standen anfangs bei jeder Sitzung den konservativen Gemeinderatsmitgliedern gegenüber, da sie eine grundweg andere Einstellung zu politischen Themen hatten, was nicht selten zu Beleidigungen und Beschimpfungen führte. Deshalb traten diese vier, Rudolf Baum, Christian Friedrich Rauch, Friedrich Bucherer und Daniel Fingado, bereits nach einem Jahr wieder aus dem Gemeinderat aus. Erst in den 1840-ern gelang es den Liberalen, wieder allmählich an Macht und Einfluß zu gewinnen.

Im Jahre 1842 schafften die Liberalen dann den Durchbruch, weil erstmals seit 1819 wieder ein liberaler Lahrer in die zweite badische Kammer in Karlsruhe gewählt wurde, und weil man mit Hilfe der Blauen einen Wahlskandal bei den Gelben aufdecken konnte. Voelker, wichtigster Mann der Gelben, versuchte sich mit unlauteren Mitteln, wie z.B. Korruption und Nötigung, in Seelbach einen Wahlsieg zum Eintritt in die zweite Kammer zu sichern, woraufhin in der zweiten Kammer eine Grundsatzdiskussion entstand. Da der Druck auf Voelker aufgrund der Bestechungsversuche immer mehr zunahm, mußte dieser am 8. Juli 1842 schließlich zurücktreten. Als 1843 auch noch Rudolf Baum zum Bürgermeister gewählt wurde, ging die Macht in der Stadt endgültig in die Hände der Liberalen über.

Doch bereits 1846 spaltete sich nicht nur die liberale Bewegung, sondern auch die ganze Bevölkerung in Lahr. Innerhalb der ehemals ziemlich ähnlichen Einstellung dieser beiden liberalen Richtungen entstand eine sehr große Meinungsverschiedenheit, weil man sich nicht auf eine bestimmte Regierungsform einigen konnte. Der eine Teil der Liberalen wollte nur eine neue, bessere Verfassung, egal ob in einer Monarchie oder einer Republik, doch der andere Teil der Liberalen forderte eine Republik ohne Monarchen, in der das Volk die alleinige Macht haben sollte. So kam es, daß zwei Richtungen entstanden: eine gemäßigte, die nur eine neue Verfassung wollte, und eine radikale, die sich sehr für die Republik einsetzte.

Im Jahr 1847 brach dann die Konfrontation zwischen Liberalen und Republikanern aus, woraufhin sich Rudolf Baum, der sich anfangs noch um Vermittlungen bemühte, von seinem Bürgermeisteramt zurückzog, und Ferdinand Groß, ein gemäßigt Liberaler, zu seinem Nachfolger wurde. 1847 erlebte Lahr eine sehr turbulente Zeit, denn es wurde nicht nur eine liberale Großveranstaltung, "das Liederfest", abgehalten, sondern es kam außerdem zur Bildung eines neuen Vereines, des Turnvereines. Dieser Turnverein zeichnete sich vor allem für etwas aus, was in dieser Zeit typisch für viele Vereine war: er diente nicht nur zur körperlichen Ertüchtigung, sondern gleichzeitig zur Bildung der politischen Meinung. Dies kann man daran sehen, daß sich der Verein bereits wenige Monate nach seiner Gründung, ähnlich wie die gesamte Lahrer Bürgerschaft, in zwei Vereine teilte: einen gemäßigt liberalen und einen radikalen, republikanischen Turnverein. In dieser Zeit war es nämlich verboten, politische Versammlungen abzuhalten, weshalb viele solcher Vereine, unter anderem auch der 1846 gegründete Bürgerverein oder der 1828 gegründete Lahrer Singverein, entstanden.

Nachdem sich im Frühjahr 1848 Frankreich von seinem Monarchen befreit hatte, war die Lahrer Bevölkerung in Aufruhr. 100 Menschen trafen sich im Gasthaus "Falken", wo Reden gehalten, Freiheitslieder gesungen und "Freiheit oder Tod" gefordert wurden, und wo Ferdinand Groß, der Bürgermeister, schließlich wieder für Ruhe und Ordnung sorgen mußte.

Als Anfang März 1848 die Pressefreiheit wiederhergestellt wurde, sorgte der radikale Johann Hofer für den Druck der radikalen Zeitung, dem "Schutterboten", mit welchem die Republikaner die Lahrer Bevölkerung zum Weitertreiben der Revolution animieren wollten. Kurzzeitig gab es sogar Gerüchte, daß ein Sturm auf das Bezirksamt stattfinden sollte, weil die Republikaner mit einigen liberalen Ministern nicht zufrieden waren. Dieser Sturm wurde jedoch von der weniger radikal eingestellten Bevölkerung abgelehnt, die sich vor ihre liberalen Minister stellte, da sie die von 51 süddeutschen Liberalen einberufene Nationalversammlung, die in Frankfurt stattfinden sollte, lieber abwarten wollte.

In Offenburg fand am 19. März 1848 ebenfalls eine Volksversammlung statt, die von 20 000 Bürger aus Offenburg und der näheren Umgebung, einschließlich von Bürgern aus Lahr, besucht wurde. Auch bei dieser Volksversammlung einigte man sich nicht auf eine zukünftige Staatsform, da hierfür die Meinungsverschiedenheiten zu groß waren. Allerdings beschloß man, daß in jeder Gemeinde ein Vaterländischer Verein gegründet werden sollte. Dieser Vaterländische Verein wurde in Lahr nicht neu gegründet, sondern er erstand aus dem Bürgerverein, der 1846 von Baum gegründet worden war und später den Namen "Lahrer Volksverein" trug. Baum gab den Vorsitz des Vereins 1848 an Schubert ab, der bereits ein Mitglied im mittelbadischen Vaterländischen Verein war, welcher den Bürgerverein schließlich in den "Lahrer Volksverein" umwandelte. Schubert berief am 9. April eine Volksversammlung ein, zu der er alle "Vaterlandsfreunde des Lahrer Oberamtes" einlud. Zu dieser Volksversammlung erschienen 5 000 Menschen. Allerdings war, nach Meinung des Brigadiers Häusler, diese Volksversammlung ziemlich unbedeutend, "da niemand aus der Ferne in Lahr war", außer einem ehemaligen Geistlichen, einem gewissen Scheible aus Durlach, welcher sogar noch von der Lahrer Bevölkerung ausgepfiffen wurde. Die Versammlung lief deshalb so ruhig ab, weil in Lahr immer noch Bereitschaft zur Kooperation zwischen Republikanern und Liberalen bestand.

Als die Republikaner am 18. April den Offenburger Bahnhof besetzten, wurden auch die Lahrer Radikalen unruhig. Allerdings konnte das zweite Aufgebot der Bürgerwehr solche Zustände wie in Offenburg und anderen Städten der näheren Umgebung verhindern. Sie konnte jedoch nicht verhindern, daß sich in der Nacht vom 21. auf den 22. April 50 junge Lahrer Bürger auf den Weg nach Freiburg machten, um dort einer angekündigten Volksversammlung beizuwohnen. Einer dieser 50 Männer, Johann Heinrich Gimpel, kam bei Gefechten am Ostermontag ums Leben. Für die meisten Bürger Lahrs war die Revolution allerdings bereits mit den erfüllten Forderungen nach Pressefreiheit und Ablösegesetz, nach richterlicher Unabhängigkeit und einer eigenen Bürgerwehr beendet. Die Forderung nach einer Bürgerwehr wurde in Lahr jedoch sehr unterschiedlich aufgenommen. Niemand bestritt, daß eine Bürgerwehr nützlich wäre, allerdings waren die Ansichten der verschiedenen politischen Richtungen sehr unterschiedlich: die Liberalen wollten eine Bürgerwehr, die vor allem auf die innere Sicherheit der Stadt bedacht sein sollte, die Republikaner waren jedoch der Ansicht, daß eine Bürgerwehr vor allem dazu dienen sollte, die Revolution voranzutreiben. Aus dieser Meinungsverschiedenheit heraus gelang es den Lahrern erst im Mai 1849 eine Bürgerwehr aufzustellen.

Am Geburtstag des badischen Großherzogs am 29. August, eigentlich ein Feiertag für die Bevölkerung Badens, fand in Lahr eine nie gekannte Provokation von seiten der Republikaner statt, indem die Lahrer Bürger den Revolutionär Hecker anstelle des Großherzogs hochleben ließen. Daraufhin wurde von den Liberalen noch vehementer eine Bürgerwehr zur Bewahrung der inneren Sicherheit gefordert, die auch gegen radikale Republikaner vorgehen sollte. Doch auch diesmal konnten sich die Liberalen nicht durchsetzen.

Die Trennung Lahrs in Liberale und Republikaner wurde immer deutlicher. Zunehmend fanden öffentliche Versammlungen des radikalen Vaterländischen Vereins statt. Doch bei den Gemeinderatswahlen schnitten die Republikaner im Vergleich zu den letzten Wahlen viel schlechter ab. Als Reaktion auf diese immer häufiger vorkommende Versammlungen reagierten die Liberalen und Konservativen mit der Gründung eines weiteren Vaterländischen Vereins.

Am 30. Oktober stellte Rudolf Baum im Landtag den Antrag, Wahlen für eine verfassungsgebende Versammlung zu veranstalten. Die Republikaner wollten jedoch nicht bis zum Stattfinden dieser Wahlen warten, sondern sie versuchten, Mitglieder der Kammer zu einem Rücktritt zu bewegen, damit diese nicht mehr beschlußfähig wäre und somit aufgelöst werden müßte. Einer dieser Abgeordneten, die sich daraufhin aus dem Parlament zurückzogen, war ein Ottenheimer Bürger, Georg Heimburger, der nicht länger in einem Parlament sitzen wollte, welches das Vertrauen der Bürger nicht länger genoß. Als Heimburger bei einer erneuten Wahl von der Bevölkerung jedoch wieder bestätigt wurde, verhinderte er eine weitere Wahl.

Diese geforderte Nationalversammlung kam schließlich zusammen, um eine Verfassung für Deutschland auszuarbeiten. Als diese vollendet war, fanden anschließend Wahlen des Kaisers statt, der als neues Staatsoberhaupt dienen sollte. Wilhelm IV. von Preußen gewann diese Wahl, wollte jedoch dieses Amt nicht antreten, da er die neue Verfassung als ein "Hundehalsband" sah, das ihn in seiner Eigenschaft als Monarch zu sehr einschränkte. Daraufhin gab Wilhelm Schubert seinen Vorsitz im Lahrer Volksverein an den Kammacher Georg Friedrich Leonhard ab. Unter dessen Leitung fanden immer häufiger Versammlungen statt: man sammelte für politische Gefangene und sah den Kampf um die Verfassung als Zwischenschritt zu einer demokratischen Republik. Auch der Lahrer Vaterländische Verein trat immer häufiger in Aktion.

Am 9. Mai des Jahres 1849 fand daraufhin eine Versammlung auf dem Lahrer Schulhof statt, in der Ferdinand Groß zu Ruhe und Einigkeit aufrief und die neue Verfassung des deutschen Staates verkündete. Die meisten Lahrer Bürger hielten sich an das, was Groß ihnen nahe gelegt hatte, eine gewisse radikale Minderheit ließ sich jedoch von den seinen Worten nicht beeindrucken.

Kurz darauf, am 12. Mai des Jahres 1849, fand in Offenburg eine Volksversammlung unter Beteiligung von 35 000 Bürgern, darunter auch einigen Lahrern, statt. Man forderte nicht nur die neue Verfassung, sondern ging sogar soweit, die Republik auszurufen. Als dabei plötzlich Soldaten aus Raststatt eintrafen, die von der geglückten Revolution in der Armee erzählten, gab es kein Halten mehr.

Auch in Lahr überschlugen sich daraufhin die Ereignisse. Friedrich Leser, ein Lahrer, der bei der Offenburger Versammlung zum Bevollmächtigten des Landesausschuß ernannt worden war, rief in Lahr ein erstes Aufgebot der späteren Bürgerwehr ins Leben, von der ca. 150 Mann kurz darauf mit der Bahn abreisten, um die "Preußen zusammenzuschießen". Ferdinand Groß, der ebenfalls in Offenburg gewesen war, ließ sich von den Ereignissen allerdings nicht mitreißen, sondern berief statt dessen eine zweite Versammlung auf dem Schulhof ein. Dort wollte Groß die Lahrer Bürgerschaft mit scharfen Reden zur Räson bringen, was ihm jedoch mißlang. Die Unruhe in der Bevölkerung wurde jedoch immer größer, bis Wilhelm Schubert das Wort ergriff und per Akklamation abstimmen ließ, ob die neue Regierung, samt ihren Forderungen von der Lahrer Bevölkerung, anerkannt werde. Ein Großteil der Bevölkerung stimmte ihm zu. Deshalb mußten Gemeinderat und Bürgermeister Groß zurücktreten.

Da nur ca. 150 kriegstaugliche Männer bereits nach Karlsruhe gezogen waren, sah Schubert es als seine Pflicht, weitere Männer einzuberufen, die in Karlsruhe für die Republik kämpfen sollten. Doch Teile der zurückgebliebenen Lahrer Bürger weigerten sich solange, bis sie schließlich der Zivilkommissär Franz Xaver Faller mit einer Depesche zur Teilnahme am Krieg verpflichtete.

Da die meisten Freiwilligen, die nach Karlsruhe gezogen waren, Republikaner waren, entstand in Lahr ein politischer Zustand, der in jeder Hinsicht sehr labil war. Am 18. Mai erschien eine Verordnung, die alle Gemeinden zur Gründung eines Sicherheitsausschusses aufforderte, der über Eigentum und Schutz der Personen wachen sollte. Außerdem hatte dieser Ausschuß die Aufgabe, die Aktionen radikaler Lahrer zu verhindern, die sich nicht nur gegen die als konservativ bekannten Handelsleute wandten, sondern auch einen"kommunalen Sozialismus" schaffen wollten.

Wie unentschlossen die Lahrer Bevölkerung am Ende der Revolution in Bezug auf die politischen Verhältnisse war, kann man auch daran sehen, daß sich bei den Bürgermeisterwahlen Mitte Juni 1849 nur die Hälfte der wahlberechtigten Bevölkerung beteiligte.

Nach der Schlacht bei Waghäusel flachte die revolutionäre Welle in Lahr immer mehr ab. Als dann auch noch Schubert, Führer der revolutionären Bewegung in Lahr, die Stadt Richtung Norden verließ, um nach dem Schicksal des Lahrer Banners zu forschen, schlug die revolutionäre Stimmung in Lahr endgültig in eine konterrevolutionäre um.

 

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